Mozilla hat soeben die schon länger für November 2017 angekündigte Version 57 seines Internet Browsers Firefox veröffentlicht, die zweimal schneller sein und 30% weniger Speicher benötigen soll als Konkurrent Google Chrome. Was wie ein technischer Quantensprung in der Entwicklung des Browsers angepriesen wird, stellt sich leider für die meisten Anwender komplett anders dar…
Denn wer die Update-Automatik nicht rechtzeitig abgestellt hatte, wird nun damit konfrontiert, dass fast keines der aufwendig aus einem riesigen Angebot ausgewählten, kostenlosen Zusatzprogramme (Add-ons) von Drittanbietern mehr funktioniert, und dass es weit und breit – noch – keinen Ersatz gibt. Diese Add-ons haben ihren Anwendern nicht nur interessante oder wichtige Zusatzinfomationen geliefert, etwa die aktuelle Uhrzeit aus frei wählbaren Städten auf dem Globus, oder Schwachpunkte des Browsers kompensiert, etwa beim Download von Videos, beim Zoom von Grafiken oder bei der Datenübertragung, sondern auch Kontroll- und Schutzmöglichkeiten an die Hand gegeben, etwa die Anzeige von IP-Adressen oder im Hinblick auf die Ausführung von unerwünschten und schädlichen Skripten beim Aufruf von Webseiten (NoScript). Das alles wurde jetzt erst einmal geopfert, nur um schneller als die Konkurrenz zu sein.
Auch die frühzeitige Ankündigung, dass es so kommen würde, ändert nichts daran, dass der Geschwindigkeitsvorteil durch zahlreiche kleine, aber keineswegs unbedeutende Rückschritte erkauft wurde, die den Fortschritt insgesamt in sein Gegenteil verkehren. Das ist ein echter Klassiker unter den Paradoxien, bei dem die Nebenwirkungen einer Handlung beste Absichten komplett zunichtemachen und damit die Handlung selbst völlig ad absurdum führen. Wir sehen darin zugleich ein typisches Beispiel für die vorherrschende Tendenz in der Software-Entwicklung.
Die angeblichen Verbesserungen bei den Funktionen und den Funktionsweisen von Software zwingen die Anwender immer häufiger dazu, nach einem Update ihre Arbeitsgewohnheiten und ihre Anforderungen neu zu justieren. Besonders schlimm ist die Alternativlosigkeit dieser Änderungen. Selten lassen sich Beispiele finden, wo ein Update die Möglichkeit anbietet, so weiterzuarbeiten wie bisher. So darf man etwa beim neuen TeamViewer 13 seine bisherige Programmoberfläche behalten, wenn man möchte. Ansonsten gilt: bei Nichtgefallen kann man sich ja etwas anderes suchen. Ein solcher Umgang mit seinen Kunden kann auf Dauer nicht erfolgreich sein, weil er nicht kundenorientiert ist. Für die Anwender spielt es letztlich keine Rolle, ob solche Zumutungen Ergebnis von Arroganz, Anmassung und massloser Selbstüberschätzung sind oder sich der Tatsache verdanken, dass die betreffenden Programmierer in einer hermetisch abgeriegelten Echokammer leben, in der sie sich nur noch durch wechselseitiges Schulterklopfen in ihrem Tun bestätigen und bestärken… Die Anwender müssen sich anpassen, ganz besonders bei Verwendung von Mietsoftware, bei der Updates Teil der Programmatik sind und daher auch nicht verweigert werden können. Die meisten Anwender sind halt auch technisch nicht so versiert, dass sie sich gegen solche nachteiligen Entwicklungen schützen können.
Trotzdem ist nicht auszuschliessen, dass bei manchen Software-Updates der Schuss nach hinten losgeht und Anwender sich kollektiv in existentiell bedrohlichem Ausmass abwenden, weil sie sich nicht länger bevormunden oder entmündigen lassen möchten. Und es bleibt die Hoffnung, dass sich als Gegenbewegung wieder Software-Entwickler durchsetzen werden, die sich an den Bedürfnissen Ihrer Zielgruppen orientieren, anstatt ihnen diese vorzuschreiben. Das könnte ein echtes Erfolgsrezept werden… Wir waren da ja schon einmal auf einem guten Weg, als Software ab Mitte der 90er Jahre rund eine Dekade lang weiterentwickelt wurde, indem sie sich an den Anforderungen der Nutzer orientierte und entsprechend immer besser an diese anpassen liess… Bei Ausnahmen ist das immer noch der Fall, etwa bei WinCard Pro, der Adressverwaltungssoftware, welche die Basis unserer Business-Lösungen bildet. Spätestens bei Microsoft Office 2007 und Windows 8 wurde jedoch unübersehbar, dass der Anwender nicht mehr gefragt wurde, sondern fortan zu seinem Glück gezwungen werden sollte.
Und tatsächlich hat geschicktes Marketing es in der Folge vermocht, das Neuere als das stets Bessere zu verkaufen und mit einer ungeheueren Anziehungskraft auszustatten. Seitdem werden die Lebenszyklen von – insbesondere elektronischen – Produkten immer kürzer, seitdem übernachten sogenannte ‚Early Adopters‘ an manchen Tagen vor Apple Stores. Die Erfahrung zeigt, dass die Gleichung nicht immer, ja eigentlich häufig nicht aufgeht. Trotzdem lassen sich nach dem offenbar neuen Naturgesetz alle möglichen Neuheiten vermarkten, die – wer wollte daran noch ernsthaft zweifeln, ohne zu den ewig Gestrigen gezählt werden zu müssen – das eigene Leben immer weiter verbessern… etwa die totale Mobilität mit Hilfe der evolutionären Errungenschaft ‚Internet‘. Und natürlich ist in diesem Sinne auch der neue Firefox 57 der beste aller möglichen Browser… allein schon, weil er neuer ist als Firefox 56… und dann auch noch so viel schneller als die Konkurrenz… Wer könnte darüber nicht in ekstatische Euphorie verfallen?